Jungbrunnen entdeckt: 5 Tipps für geistige Fitness
… bis ins hohe Alter. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans* allemal.
Vorausgesetzt, er verliert nicht seine Neugier, bewegt sich, kann sich für etwas begeistern, hat soziale Kontakte und schläft ausreichend!
Das menschliche Gehirn
• besitzt mehr als 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen),
• die durch etwa 70 – 100 Billionen Verbindungen (Synapsen) eng miteinander verknüpft sind und
• die Länge aller Nervenbahnen des Gehirns eines erwachsenen Menschen beträgt etwa 5,8 Millionen Kilometer, das entspricht dem 145-fachen Erdumfang.
Ein Wunderwerk der Evolution!
Trotzdem galt es bis in die späten 90er Jahre des letzten Jahrhunderts als gesicherte Erkenntnis, …
Trotzdem galt es bis in die späten 90er Jahre des letzten Jahrhunderts als gesicherte Erkenntnis,
• dass der Mensch mit einer gewissen Ausstattung an Hirnzellen zur Welt kommt,
• bereits im Säuglingsalter die Zellteilung im Gehirn aufhört und
• der Mensch das Leistungsvermögen seines Denkapparats bestenfalls eine Zeit lang auf einem bestimmten Niveau halten kann und
• dieses sich dann im Alter zurückentwickle, weil Hirnzellen z.B. durch jeden Vollrausch absterben und unwiederbringlich verloren sind.
Die Konsequenz aus diesem lange geltenden Dogma war die Volksweisheit: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“
Heute wissen wir: „Alles Quatsch.“
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans allemal!
Der Mensch ist bis ins hohe Alter in der Lage, neue Hirnzellen (Neurogenese) und neue Verbindungen (Synapsen) zwischen Hirnzellen zu produzieren. Das ganze Gehirn ist dazu fähig, sich an veränderte Gegebenheiten anzupassen (zu lernen) und sich komplett umzubauen (Neuroplastizität).
(Nachweis 1998 durch den schwedischen Forscher Thomas Björk-Erikssonder von der Universität Göteborg)
Mehrere Tausend Neuronen entstehen Tag für Tag aus sog. neuronalen Stammzellen, die sich zu neuen Netzen und Hirnnetzwerken verbinden. Alle neuen Nervenzellen haben besondere Fähigkeiten: Sie sind leichter zu erregen als die alten Neuronen und können schneller Synapsen ausbilden oder auch rückbilden. Dies sind wichtige Faktoren für das Faktenlernen und Erinnern aber auch für das Lernen von Bewegungs- und Handlungsabläufen. Die neu heranwachsenden Neuronen sind überdurchschnittlich vielseitig; ohne Anreize verkümmern die neuen Neuronen allerdings. Diese Fähigkeit ist wohl auch der Grund für die sagenhafte Regenerationsfähigkeit unseres Denkorgans.
Entscheidend für die positiven Prozesse ist, wie stark unser Gehirn durch unser Umfeld und unsere Interessen gefordert wird. Um sie zur Entfaltung zu bringen und sie nutzen zu können, müssen sie durch körperliche, soziale und geistige Anforderungen stimuliert werden. Eine komplexe Umgebung formte offenbar komplexe Gehirne.
Verliebt sich beispielsweise ein 85 jähriger Deutscher in eine hübsche, 75 Jahre alte Chinesin und zieht mit ihr in ein chinesisches Dorf, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er in rund einem halben Jahr passabel chinesisch sprechen lernt. Wenn uns etwas emotional berührt, gibt es im Kopf ein wahres Feuerwerk an Zellteilungen (neuen Neuronen) und neuen Verknüpfungen. Dies gilt sowohl positiv, wie negativ.
Der einzige Unterschied zur Lernfähigkeit von Kindern ist, dass die sich leichter begeistern lassen, sich für mehr interessieren und noch weniger „stur“ sind, weil sie noch keine oder kaum (negative) Erwartungen haben.
Sturheit ist eine Haltung bei Menschen jeden Alters oder jeder Herkunft, die sich häufig entwickelt, wenn mit Veränderungen schlechte Erfahrungen gemacht wurden. Sie verlieren dann die Lust, Neues (kennen-) zu lernen.
Und das ist änderbar. Mit einem aktiven Leben in einer abwechslungsreichen Umgebung.
Hier 5 Tipps dazu:
1. Tipp: Den Körper bewusst zu erleben und zu spüren durch Bewegung.
Das können wir bis ins hohe Alter, völlig gleich ob wir tanzen, laufen, gehen, uns strecken, dehnen, sexeln oder uns handwerklich betätigen. Bereits als Fötus und als Neugeborenes bilden sich die ersten Strukturen im Gehirn durch Signalmuster, die vom Körper kommen. Schon Friedrich Nietzsche war der Ansicht, das Denken könne sehr wohl den Rhythmus des Gehens annehmen, genauso wie den des Sitzfleisches. Dass Laufen klüger macht, glaubten schon die Peripathetiker („Umherschlenderer“) im alten Griechenland: Sie dachten grundsätzlich im Gehen nach. Ein enger Zusammenhang zwischen körperlicher und geistiger Bewegung scheint einleuchtend. Der Neurologe Prof. Dr. med. Gerd Kempermann, der seit Juni 2007 am „DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien“ der TU Dresden arbeitet, hat die Ahnung in Wissen verwandelt. Seine Formel: Gehen fördert das Denken aufgrund besonderer Eigenschaften einer Region des Gehirns. Die Taktfrequenz der Schritte stabilisiert den Rhythmus des Gehirns und lässt die zu speichernden Gedanken leichter ins Langzeitgedächtnis gelangen. Sport beeinflusst anscheinend schon die Gehirnentwicklung von Föten im Mutterleib positiv.
Eigentlich sollte auf jedem Stuhl, Sessel oder Sofa der Warnhinweis angebracht werden: „Sitzen schadet ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit!“
2. Tipp: Intensive soziale Kontakte.
Andere Menschen besuchen oder selber Besuche empfangen. Gemeinsame Aktivitäten wie mit anderen Essen gehen, der Besuch kultureller Veranstaltungen, gemeinsam Wandern, Picknicken, oder auch nur Gespräche von Mensch zu Mensch über den Austausch von Floskeln hinaus. Nicht nur Kinder werden durch den Kontakt mit anderen Menschen geformt. Jeder wird mit der Zeit in Verhalten und Einstellung der gefühlte Durchschnitt der fünf Personen, mit denen er die meiste Zeit verbringt.
Intensiv soll auch heißen „gefühlt“, die Sensationen der Wärme einer Umarmung, der Kontakt von Haut auf Haut beim Streicheln, herzen und küssen.
Bleiben wir „sinnlich“. Unsere Sinne senden unserem Gehirn unschätzbar sensationelle Impulse um neue neuronale Verbindungen wachsen zu lassen.
3. Tipp: Bleiben wir neugierig. Probieren wir Sachen aus, die wir noch nicht erlebt haben. Geben wir unseren Tagen einen neuen Inhalt, einen neuen Sinn und eine zusätzliche Bedeutung.
Ob das etwas Gestalterisches ist wie Basteln, Bauen oder Malen, etwas Sportliches wie Yoga, Rudern oder Schwimmen, oder etwas, das unseren Alltag verändert wie z.B.
• täglich Spazieren gehen,
• mehr mit dem Fahrrad erledigen,
• Jonglieren lernen,
• Puzzeln,
• Karten spielen,
• Handarbeiten,
• mehr Lesen,
• mehr Reisen,
• eine neue Sprache lernen,
• andere Düfte riechen,
• andere Speisen probieren,
• aufhören zu jammern,
• Verantwortung für ein Haustier übernehmen,
• sich mehr um die Eltern, Kinder oder Enkel kümmern,
• sich ehrenamtlich betätigen,
• Weiterbildung jeder Art.
Jeder Lernstoff wandelt sich gewissermaßen in Materie um, Hirnregionen und Strukturen wachsen.
Jede dieser Veränderungen hat einen deutlichen Einfluss auf die Entstehung und Verwendung neuer Neuronen.
4. Tipp: Mit kognitiver Aktivität kann die Entstehung neuer Neuronen gezielt angeregt werden.
Starten Sie Ihr persönliches, kleines Trainingsprogramm, entschlüsseln Rätsel, machen Denksportaufgaben und lösen Tests für das logische Denken und das räumliche Vorstellungsvermögen. Zweimal die Woche je eine Stunde reicht gemäß den Ergebnissen wissenschaftlicher Tests vollkommen aus.
Die Untersuchungen legen auch nahe, dass geistiges Training dazu beiträgt, Alzheimer zu verzögern bzw. sogar zu verhindern.
5. Tipp: Ausreichender Schlaf ist die Voraussetzung für die Bildung junger, lernfähiger Hirnzellen.
Das individuelle Optimum ist bei Erwachsenen sehr unterschiedlich, liegt aber i.d.R. zwischen sieben und acht Stunden Schlaf pro Tag.
Menschen, die sich geistig fit halten oder Sport treiben haben ein geringeres Demenzrisiko. Von demenzkranken Insassen eines japanischen Pflegeheims in der Nähe von Kobe ist bekannt, dass sich diese auch drei Jahre nach dem Erdbeben von 1995 noch sehr gut an das Beben erinnern konnten. Je „eindrücklicher“ ein Erlebnis wahrgenommen wird, desto mehr prägt dies das Lern- und Erinnerungsvermögen – zunächst unabhängig davon, ob wie wir diese Erfahrungen positiv oder negativ bewerten.
Wer diese fünf Tipps beherzigt, unterstützt sein Gehirn bei der Produktion neuer Nervenzellen bis ins hohe Alter. Unser Gehirn ist kein Gelenk, das sich durch intensive Beanspruchung abnutzt – im Gegenteil. Es ist eher wie ein formbarer Muskel, der durch Gebrauch und Herausforderung gestärkt wird.
Allerdings gilt auch: Wenn die Neuronen-Produktion erlahmt, drohen Alzheimer und Depression. Schon der vorgezogene Ruhestand ohne ein die Anforderungen des Jobs ausgleichendes Hobby, gleich ob über Früh- oder Selbstpensionierung, ist schon ein fataler Schritt in die Verdummung.
Die größten Feinde der Neurogenese
1. Zuviel Fernsehen verändert das Gehirn negativ!
„Fernsehen macht dumm, dick und gewalttätig. Wenn wir den die Köpfe der nächsten Generation völlig vermüllenden Medienkonsum einfach so weiterlaufen lassen, nähen wir in 20 Jahren die T-Shirts für China.“ (Prof. Dr. Dr. Spitzer, Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, Leiter des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen) Aber dazu später mal mehr.
2. Ein weiterer Hauptfeind der Neurogenese ist der Stress.
Negativer Stress führt zur Ausschüttung von Hormonen, die wie ein Nervengift wirken. Anstrengende, belastende Umwelteinflüsse untergraben offenbar die Regenerationsfähigkeit des Gehirns und wirken auf diese Weise buchstäblich nervtötend.
3. Auch Alkohol und Nikotin in hohen Dosen bremsen die Neurogenese; deutlich weniger junge Neuronen überleben.
Interessanterweise legen die Befunde nahe, dass es für einen Entzug nie zu spät ist. Nach vier bis fünf Wochen ohne Alkohol sprang die Neuronen-Produktion wieder an. Das Gleiche gilt für Opiate wie Morphium und Heroin, bei denen ebenfalls nachgewiesen wurde, dass sie Neuronen-Nachwuchs killen.
Letztlich könnte der Volksmund recht behalten: In einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist. Wir haben es in der Hand.
* Wo auch immer Hans steht (Ableitung von Johannes), ist auch Hansine (nicht mehr so geläufige weibliche Form von Hans), Jeannette oder Janine (ebenfalls von Johannes abgeleitet) in sämtlichen Schreibformen gemeint 😉 .
Quellen und weiterführende Links:
Trottelfallen: Wie Sie sich von lästigen Gewohnheiten befreien! (Brevier-Reihe Hirnschrittmacher) http://url9.de/NPe
http://www.gedaechtnistraining.biz/Koerper/Kundhardt.htm
http://www.gedaechtnistraining.biz/Koerper/Brainwalking.htm
http://www.memopower50.de/hauptnavigation/ist-es-so/ist-es-so.html?fontsize=large
http://www.tagesspiegel.de/wissen/neurogenese-unerwarteter-fallout/8312776.html
http://www.gerald-huether.de/populaer/veroeffentlichungen-von-gerald-huether/zeitschriften/rheinischer-merkur-interview-gerald-huether/index.php
http://dasgehirn.info/aktuell/frage-an-das-gehirn/neue-nerven-im-erwachsenengehirn-2013-was-weiss-man-darueber
Das Gehirn kann sich regenerieren-Neurogenese http://bit.ly/17EIeDf
http://de.wikipedia.org/wiki/Neurogenese
http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-47216864.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7882999.html
Neuroforum 3/06 Adulte Neurogenese im Hippokampus, Josef Bischhofbergerund Christoph Schmidt-Hieber