Faulsein ist eine Kunst …
… die Kunst sich auszuruhen, bevor wir müde, erschöpft und ausgebrannt sind. Ein Burnout darf nicht zu einem Verwundetenabzeichen oder „Bundesverdienstkreuz mit Stern (Infarkt)“ an der Brust der Leistungsbereiten werden. Die fetten Augenringe und die nervösen Ticks machen eine(n) noch lange nicht zum „Held der Arbeit“. Auch mal faul zu sein schützt vor den Zumutungen des hektischen, lauten, überfüllten Alltags. Damit gewinnen wir die Leichtigkeit des Seins, mehr Lebensqualität und mehr kreatives Potenzial.
Faulheit darf allerdings nicht mit Trägheit verwechselt werden. Faulsein bedeutet eben nicht unlustig und gelangweilt herumhängen, bedeutet nicht Chips fressende Trägheit vor der Glotze, bedeutet nicht regungslos und stumpf in sich hinein zu schütten und zu stopfen. Konsum ist nicht das Gleiche wie Genuss.
Worin besteht also die Kunst des Faulseins?
Faulenzerei ist träumerischer Müßiggang, sich wie Kinder treiben lassen, schauen, lauschen, fühlen, beobachten, da sein, im Moment aufgehen. Faulsein sieht oft von außen inaktiv aus, hat jedoch ein reges Innenleben. Die beschauliche Betrachtung der Umwelt oder der Innenwelt. Tagträumendes Gassi gehen der Gedanken oder bewusster Genuss; Coffee to stay, nicht Coffee to go.
Die Imagination braucht das ziellose Umherschweifen, den ineffizienten Müßiggang, das fröhliche Zeitverplempern und Herumtrödeln. Brenda Ueland, Schriftstellerin
Faulsein ist auch geradezu die Voraussetzung für Kreativität. Wer immer „busy, busy“, immer „on the fly“ ist, kann prima abarbeiten, aber nur schwer einen neuen Gedanken fassen. Auf Dauer beeinträchtigt Hyperaktivität erwiesenermaßen selbst die Qualität der „üblichen“ Resultate. Der bewusst angestossene kreative Prozess verläuft idealerweise in fünf Schritten, den „5 I“: Input, Inkubation, Illumination, Inquisition, Implementierung. Input ist der Schritt die bekannten Daten und Fakten anzuschauen, also eine Problemanalyse oder die Aufnahme der Ist-Situation. Daraus erfolgt dann eine Zielformulierung oder lösungsorientierte Fragestellung, damit unser Unterbewusstsein weiß, an welcher Aufgabenstellung es im zweiten Schritt arbeiten soll. Der ist dann die Inkubation (v. lat. incubare „liegen auf“, „ausbrüten“). Wir kennen diesen Begriff aus der Medizin, z.B. als Zeitraum von der Infektion bis zum Ausbruch einer Krankheit. Bei der Kreativität geht es um die Infizierung mit Informationen und der Ausbruch ist die Illumination, der Gedankenblitz, der eine neue Lösung, Verbindung oder Sichtweise hervorbringt. Während dieser „Ausbrütungsphase“ arbeitet unser Unterbewusstsein an der Lösung der Aufgaben- oder Problemstellung weiter. Wir müssen nur für den ausreichend frühen Input sorgen und für Phasen des Müßiggangs. Auch das „eine Nacht darüber schlafen“ gibt dem Unterbewusstsein Gelegenheit, erhaltene Information nochmals anzuschauen und ggf. anders zu verarbeiten oder zu kombinieren und ggf. zu anderen Resultaten zu kommen. Dafür braucht es eine ausreichend lange, unbetäubte Nachtruhe. Alles mit „heißer Nadel“ gestrickte kann nur routinierte Resultate bringen. Um es noch zu vervollständigen – Inquisition (lat. inquirere ‚untersuchen‘) meint die Bewertung der Ideen auf Durchführbarkeit und Wirtschaftlichkeit, die Implementierung (lat. implere „anfüllen, erfüllen“) die Umsetzung der Idee oder Ideen, die es durch die Inquisition geschafft haben.
Apropos Inquisition – die römisch-katholische Kirche hat die Faulheit als Todsünde denunziert. Bei vielen Menschen, die im christlichen Abendland aufgewachsen sind, frisst sich das ins Unterbewusstsein und manifestiert sich dann in Sprichworten wie „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ oder „Ohne Fleiß kein Preis“. Deswegen haben hierzulande nicht wenige Menschen ein schlechtes Gewissen beim Faulenzen. Obwohl z.B. Christus in seiner Bergpredigt sagt: „Sehet die Lilien auf dem Feld, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht, und doch sage ich Euch, dass Salomo in all seiner Pracht nicht herrlicher gekleidet war.“ Jehova, der eifersüchtige, grausame und rachsüchtige Gott des Alten Testamentes war sogar ein erhabenes Beispiel für praktizierte Faulheit; nach sechs Tagen Arbeit ruht er bis in alle Ewigkeit aus. (leicht abgewandelt zitiert aus: Psychologie Heute compact, Heft 33 2013, Artikel: Wer nicht faul sein kann-mit dem ist was faul von Ursula Nuber. Dieser gab auch Anstoß und Inspiration zu meinem Artikel.)
Hier noch ein paar herzallerliebste Zitate zum Thema:
„An sich ist Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel allen Übels, sondern im Gegenteil ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt.“ Søren Kierkegaard, Philosoph
„Faulheit gehört zu den erlesensten Genüssen des menschlichen Lebens. Aber wie jede Feinkost darf man auch die Faulheit nur in kleinen Teelöffeln genießen und muss sie schlemmerhaft auf der Zunge zergehen lassen. Im Übermaß schmeckt sie widerlich, und wenn sie gar aufgezwungen ist, wird sie zur Qual.“ Heinrich Spoerl, Schriftsteller
„Faulheit ist der Hang zur Ruhe ohne vorhergehende Arbeit.“ Immanuel Kant, Philosoph
„Nichtstun macht nur dann Spaß, wenn man eigentlich viel zu tun hätte. „ Noel Coward, Schriftsteller, Schauspieler, Komponist
„Effizienz ist nur die Faulheit der Intelligenten“. Graffiti